Leibniz-Besuchendenstrukturanalyse 2018-19

Theorie & Ziele

Museen befinden sich auf einem Weg grundlegender Veränderungen. Die neuen Stichworte sind nicht nur Besucherorientierung, sondern vor allem Dialog mit der Gesellschaft, Partizipation und gesellschaftliche Relevanz. Museen sind dabei, eine aktivere Rolle in der Gesellschaft einzunehmen, weg vom Musentempel und dem „neutralen“ Ort der Bildung, hin zu relevanten gesellschaftlichen Akteuren, die nicht nur Ort des Dialogs sind, sondern sowohl den Dialog als auch die aktive Beteiligung fördern und gestalten. Um dies tun zu können, ist es wichtig, die Position des Museums in der Gesellschaft zu kennen. Dies ist sozusagen der Ort, von dem aus es gilt, das Museum weiterzuentwickeln und zu positionieren. Doch wie wird dieser „gesellschaftliche Ort“ eines Museums bestimmt? Dazu ist es wichtig, besser zu verstehen, warum Menschen ein Museum besuchen oder nicht besuchen. Auch wenn es in vielen, gerade kleineren Museen, noch nicht Standard ist, Besuchendenforschung zu betreiben, so wächst doch langsam das Bewusstsein für die Relevanz von Besucherdaten. Ein besseres Verständnis der Besuchenden und gerade auch der Vergleich zwischen verschiedenen Museen und Museumstypen kann darüber hinaus maßgeblich zur Weiterentwicklung der Lokalisierung im gesellschaftlichen Raum beitragen. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel dieser Studie, einen ersten Schritt in diese Richtung zu versuchen. Im Vergleich von acht großen Museen in Deutschland mit ganz unterschiedlichen Themenprofilen entsteht eine erste Datenbasis, die Aufschluss über die Eigenheiten der Besuchenden in den einzelnen Museen gibt. Durch die Ergänzung der typischen soziodemographischen Daten und der museumsbezogenen Fragestellungen um Einflussfaktoren wie Besuchsmotivation, Freizeit- und Kulturverhalten und auch psychologische Maße entsteht ein sehr breiter Blick auf die Besuchenden. Gerade im Vergleich verschiedener Museen helfen diese Daten ein besseres Bild der Besucherinnen und Besucher zu erhalten. Damit können Museen auf Herausforderungen, Interessen und Anliegen besucherzentriert reagieren und evidenzbasierte Entscheidungen über die Ausgestaltung von Programmen und Dienstleistungen treffen, um sich als Museum in der Gesellschaft zu positionieren und das eigene, individuelle Profil schärfen.

Durchführung & Stichprobe

Die Besuchendenstrukturanalyse wurde 2018/2019 in den acht Leibniz-Forschungsmuseen zu drei verschiedenen Zeitpunkten durchgeführt. Diese wurden so gewählt, dass die großen Besuchendengruppen wie Touristen, Familien und reguläre Besuchende breit vertreten waren. Das Mindestalter für die Teilnahme betrug 15 Jahre, Gruppenbesuchende (z.B. Schulklassen) wurden nicht befragt. Der Fragebogen wurde in einer deutschen und einer englischen Version angeboten. Insgesamt haben 4.541 Personen den Fragebogen vollständig ausgefüllt (bei einer Verweigerungsquote von 47%). Das Alter lag zwischen 15 und 86 Jahren mit einem durchschnittlichen Alter von 43 Jahren. Unter den Befragten waren 48% Besucherinnen und 52% Besucher.

Fragebogen

Um die unterschiedlichen persönlichen und besuchsbezogenen Aspekte abzufragen, wurde ein Fragebogen mit insgesamt vier Fragebereichen konzipiert. Die Beantwortung des Fragebogens dauerte etwa 25 Minuten. (1) Museumsbezogene Fragen: Frage zur allgemeinen Besuchshäufigkeit, Begleitsituation, Besuchsdauer, vorheriger Museumsbesuch (2) Demographische Angaben: Informationen zu Geschlecht, Alter und Wohnort (3) Sozioökonomischer Status: Fragen zum schulischen und beruflichen Abschluss, zur Teilnahme an kulturellen Aktivitäten und zum kulturellen Kapital (4) Pädagogisch-psychologische Konstrukte: Fragen über die allgemeine Einstellung zu Museen, zur Persönlichkeit, zur Besuchsmotivation und zur allgemeinen Lebenszufriedenheit

Ausgewählte Befunde

Im Durchschnitt waren 57% der Teilnehmenden zum ersten Mal im jeweiligen Museum, wobei der Anteil zwischen 39% und 74% schwankt. Von den Wiederholungsbesuchenden waren 54% bereits ein bis drei Mal im jeweiligen Museum, der letzte Besuche liegt bei einem großen Teil der Besuchenden aber schon mehr als drei Jahre zurück (39%). Zudem zeigt sich, dass 60% der Befragten Gelegenheitsbesuchende sind, d.h. sie haben in den letzten 12 Monaten weniger als fünfmal ein Museum oder eine Ausstellung besucht. 65% der Besuchenden haben ihren Besuch im Voraus geplant. Da die Befragung während des Besuchs stattfand (und nicht am Ende), wurde die Aufenthaltsdauer als „geplante Aufenthaltsdauer“ abgefragt – diese schwankt erwartungsgemäß stark zwischen den Häusern. Der Museumsbesuch ist für die deutliche Mehrheit der Besuchenden ein soziales Ereignis, fast 88% besuchen das Museum mit einer Begleitung. Dass ein Museumsbesuch ein soziales Ereignis ist, zeigt sich auch in der hohen Bewertung der Faktoren zur Besuchsmotivation, „Gemeinsames Lernen“ und „Gemeinsame Freizeitaktivität“. Gerade der letzte Faktor ist bei allen Museen durchgängig stark ausgeprägt. Die in der Studie befragten Besuchenden verfügen darüber hinaus durchschnittlich über ein hohes Bildungsniveau: 72% haben Hochschulreife, Fachhochschulreife oder Abitur und 49% haben einen Hochschulabschluss an einer Universität oder Fachhochschule. Zudem verfügen die befragten Besuchenden auch über ein hohes kulturelles Kapital. Insgesamt sind die befragten Besuchenden zufrieden mit ihrem derzeitigen Leben – ihre allgemeine Lebenszufriedenheit (M = 7.96, SD = 1.74 auf einer zehnstufigen Skala) liegt über dem deutschen Durchschnitt in den Jahren 2016/2017 (M = 7.05). Auch weisen die befragten Besuchenden eine hohe Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen auf. Dies bedeutet, dass sie neugierig, wissbegierig, künstlerisch interessiert und fantasievoll sind. Insgesamt zeichnet die Studie ein Bild, das in vielen Aspekten die bestehende Literatur bestätigt. Durch den Vergleich der Museumstypen und Museen untereinander ergeben sich aber im Detail viele Aspekte, die neue Fragen aufwerfen und – auch im Vergleich der bestehenden Aktivitäten an den Museen – Anhaltspunkte zur Weiterentwicklung der Museen liefern.

Ausblick

Ab Herbst 2022 hat die zweite Erhebungsrunde an den acht Leibniz-Forschungsmuseen gestartet. Zusätzlich werden Kunstmuseen und Science Center in die Stichprobe miteinbezogen. Durch dieses Vorgehen werden drei Ziele verfolgt: (1) Feststellung langfristiger und systematischer Veränderungen in der Besuchendenstruktur der Museen (2) Vergleich des Besuchsverhaltens vor und nach Corona (3) Herausarbeitung der Besonderheit der Leibniz-Forschungsmuseen durch Vergleich mit Kunstmuseen und Science Centern (4) Noch bessere Anknüpfung an die bestehende Forschungsliteratur durch den Einbezug von Kunstmuseen.

Weiterführende Literatur

Thoma, G-B., Kampschulte, L. Specht, I., Lewalter, D., Schwan, S., Köller, O. Wer geht in welches Museum? Vergleichende Besucherstrukturanalyse in den acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft Deutsches Museum Studies Band 10, Deutsches Museum Verlag, München. 125 S., ISBN 978-3-948808-08-2 (2022)

Download: DM Studies 10